Pleasure Beach

5. Februar – 6. März 2022 | Sammlung Goetz Unter Deck

Seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie waren die Clubs in München die meiste Zeit geschlossen. Eine melancholische Grundstimmung hat sich breit gemacht. Werden wir wieder wie früher feiern können? Die Sammlung Goetz nimmt diese Situation zum Anlass, um eine Auswahl von Videos und Installationen von Künstler*innen zu zeigen, die sich mit der Clubkultur von den 1980er bis in die 2000er Jahre beschäftigen. Dabei geht es nicht nur um den Wechsel von unterschiedlichen Musikrichtungen, Tanzstilen und Moden, sondern auch um Fragen zur Sexualität, Gender und Identität. Denn gerade Jugendliche und junge Erwachsene können in wilden Clubnächten, befeuert vom Sound, dem Rausch und der Gemeinschaft, Grenzen austesten und überschreiten. Die Sammlung Goetz präsentiert die künstlerischen Arbeiten im Unter Deck, einem seit 2013 bestehenden Club in München, dessen mit Inschriften und Graffitis bedeckte Wände, durchgesessene Kunstledersofas und zerkratzte Bartresen, Spuren von langen Clubnächten tragen und Erinnerungen an bessere Zeiten wecken.

Künstler*innen: Tracey Emin, Nina Könnemann, Mark Leckey, Seth Price und Wolfgang Tillmans

Kuratorin: Cornelia Gockel

 

Seth Price
Köln Waves/Blues
2005-2008
1-Kanal-Video (Farbe, Ton)
12’
Sammlung Goetz, Medienkunst, München
 

Auf einem langen Holztisch, gleich gegenüber dem Eingang, ist auf einem großen Flatscreen die Computeranimation Köln Waves/Blues (2005-2008) von Seth Price (*1973) zu sehen – eine düstere graue Welle, die sich im immer gleichen Rhythmus vor den Augen der Betrachter*innen aufbaut. Der US-amerikanische Künstler hat dafür einen 6-Sekunden-Loop von einer Firma gekauft, die Bildschirmschoner herstellt, die Sequenz mit Farbeffekten bearbeitet und auf 12 Minuten verlängert. Dazu sind digital verfremdete Fragmente einer Blues Session zu hören. Der Blues hat afroamerikanische Wurzeln und etablierte sich um die Wende zum 20. Jahrhundert in den USA als populäre Musikrichtung. Er war Wegbereiter für viele andere Musikstile, wie Jazz, Soul, Funk, Rock‘n Roll und inspirierte neue Richtungen wie Hip-Hop oder R’nB‘. „I ‘ve got the blues“ ist aber auch eine Redewendung, wenn man traurig oder in depressiver Stimmung ist – ein Gefühl, das vielleicht jeden in den vergangenen Monaten in der Einsamkeit vor den Bildschirmen beschlichen hat.

Mark Leckey
Fiorucci Made Me Hardcore
1999
1-Kanal-Video (Farbe, Ton)
14’ 48’’
Sammlung Goetz, Medienkunst, München
 

Die großformatige Projektion Fiorucci Made Me Hardcore (1999) des britischen Künstlers Mark Leckey (*1964) ist eine filmische Collage mit gefundenem Videomaterial der 1970er bis 1990er aus der Underground Club Scene in Großbritannien, das er digital verfremdet hat. Der Film beginnt mit dem Disco Dance der 1970er Jahre, geht über Northern Soul bis hin zu den Raves der 1990er Jahre und endet mit malerischen Wolkenbildern. Dazwischen hat er Straßenszenen mit Skatern und Gruppen junger Männer geschnitten. Die unterschiedlichen Kleidungs- und Tanzstile verkörpern in ihrer Uniformität das Lebensgefühl der jungen Menschen in der jeweiligen Zeit. Die Elite der britischen Hooligans nannte sich in den 1980er Jahren ‘Casuals‘ und trug ihre Gruppenzugehörigkeit durch Markenklamotten von Tacchini, Lacoste, Fila oder Fiorucci zur Schau. Darauf spielt auch Mark Leckey mit dem Titel Fiorucci Made Me Hardcore an. Der Film ist aber weit mehr als eine anthropologische Studie zur britischen Underground Scene. Mit der Neumontage des vorgefundenen Materials, der digitalen Verfremdung in Verbindung mit der markanten Soundcollage gehört er heute zu den ikonischen Werken an der Grenze von bildender Kunst und Popkultur.

Nina Könnemann
Pleasure Beach
2001
1-Kanal-Video (Farbe, Ton)
8’ 30’’
Sammlung Goetz, Medienkunst, München
 

Nina Könnemann (*1971) führt uns mit ihrem Videofilm Pleasure Beach (2001), der auf einem Hanterex-Monitor an der Bar zu sehen ist, auf eine Amüsiermeile in Blackpool an die Westküste Englands. Der Badeort gilt als britische Version des Ballermanns und zieht gerade in den Sommermonaten feierfreudiges Publikum aller Generationen an. Im Vergleich zu anderen Seebädern sind die Preise für Unterkunft und Verpflegung in Blackpool sehr günstig, so dass hier viele Junggesell*innen-Abschiede stattfinden. Könnemann hat die hysterisch aufgeheizte Stimmung in einer stürmischen Nacht mit der Handkamera eingefangen. Sie folgt vor allem den Frauen, die in aufgeregter Vorfreude stark geschminkt, auf High Heels mit billigen kurzen Glamourkleidchen, oftmals kostümiert wie im Karneval unterwegs sind. Sie bringen sich mit Alkohol in Stimmung, setzen sich in Szene und flirten mit der Kamera. Mit dem aufziehenden Sturm scheint die Stimmung zu kippen. Hektisch versuchen sie von einem zum anderen Ort zu kommen, in der Hoffnung, dass in der so verheißungsvoll begonnenen Nacht doch noch ihre Träume erfüllen. Zum Ende des Films, peitschen die Wellen über die Promenade, Polizeisirenen ertönen, ein Mädchen kotzt gestützt von ihren Freundinnen auf die Straße, während eine helle erleuchtete Straßenbahn mit Totenkopf und dem Schriftzug ‘Terror Train‘ bemalt, wie ein Geisterzug durch die überflutete Uferstraße pflügt. Nina Könnenmann hat ihre Arbeit Pleasure Beach nach dem gleichnamigen Freizeitpark in Blackpool mit Fahrgeschäften und Attraktionen benannt. Pleasure Beach wurde auch zum Titel der Ausstellung, denn er beschreibt einen Sehnsuchtsort, der sein Versprechen nicht einlösen kann.

Wolfgang Tillmanns
Lights (Body)
2000-2002
1-Kanal-Video (Farbe, Ton)
5’
Sammlung Goetz, Medienkunst, München
 

Schon von Weitem ist die Videoinstallation Lights (Body) (2000-2002) von Wolfgang Tillmans (*1968) zu sehen, die im Bühnenbereich vor der leeren Tanzfläche des Clubs präsentiert wird. Es ist die erste Videoarbeit des Künstlers, die in Verbindung mit seinen frühen Fotografien von Tanzenden in einem Technoclub entstanden ist. Lights (Body) thematisiert hingegen die Abwesenheit der Körper und konzentriert sich auf die Dramaturgie des Scheinwerferlichts, die bunten Lichtreflexe auf einer Diskokugel und die zuckenden Blitze des Stroboskoplichts. Tillmans hat das Video während einer regulären Clubnacht an einem Samstagabend gedreht. Für den Ton habe er mit verschiedenen Soundtracks experimentiert und sich für den Hacker Remix Don’t be light von Air entschieden, der wie das endlose Vorspiel zu einem Lied klingt, das aber nicht einsetzt, erklärte er in einem Interview: „Er spielt nur mit der Erwartung.“ In der aktuellen Situation, in der wir uns selbst wie in einer Endlosschleife fühlen, weckt Tillmans Videoinstallation sehnsüchtige Erinnerungen an rauschhafte Techno-Partys der 1990er Jahre in Clubs, die heute längst geschlossen sind.

Tracey Emin
Why I Never Became a Dancer
1995
1-Kanal-Video (Farbe, Ton)
6’ 40’’ Loop
Sammlung Goetz, Medienkunst, München
 

Eine schalldichte Tür führt von der Bühne in das kleine Büro des Clubs. Mit seinem schummrigen Licht und den roten Wänden vermittelt es eine intime Atmosphäre, die zu den schonungslosen Bekenntnissen von Tracey Emin (*1963) in ihrem Video Why I Never Became a Dancer (1995), das dort auf einem Monitor präsentiert wird, passt. Emin erzählt von ihrer Jugend in dem kleinen britischen Küstenort Margate, von ihren Schulproblemen, von Sex mit älteren Jungs und Männern, den sie als junges Mädchen im Alter zwischen 11 und 13 Jahren hatte und dem Gefühl der Leere, mit dem sie oft zurückgelassen wurde. Ihre körperliche Selbstbestimmung fand sie später beim Tanzen und beteiligte sich an einem Disco-Tanzwettbewerb. Doch ihre Vergangenheit holt sie dabei wieder ein. Der Film beginnt mit verwackelten Super-8-Amateurfilmaufnahmen von Margate, während Emin von den Erlebnissen aus ihrer Jugend berichtet. In ihrem Film präsentiert sie sich jedoch nicht als Opfer, sondern beschreibt ihre Entwicklung als einen Akt der Selbstermächtigung. Emin hat Margate verlassen und ist eine erfolgreiche Künstlerin geworden. In der Schlusssequenz sieht man sie triumphierend zu dem Disco-Song You Make Me Feel (Mighty Real) in einem großen Londoner Atelier mit Blick auf den Park tanzen.