Q&A mit Nathalie Djurberg und Hans Berg

Erotische Verlockung und grausame Gewalt treffen in Euren Videoarbeiten und Installationen immer wieder aufeinander. Bei der Arbeit „The Experiment“, die für die Biennale in Venedig 2009 entstand und nun im LOVECRAFT, einem ehemaligen Kaufhaus in München, zu sehen ist, handelt es sich um einen surreal anmutenden Garten mit wundersamen, künstlichen Pflanzen in Verbindung mit drei Videos. Wie können wir uns den Entstehungsprozess dieser umfangreichen Multimedia Installation von damals vorstellen?

Nathalie: Wir wissen nicht mehr genau, wie die Idee entstanden ist, aber als uns Daniel Birnbaum, der Kurator der Venedig Biennale von 2009, fragte dort eine Arbeit zu realisieren, war die Idee schon da. Es war das erste Mal, dass wir auf diese Weise an einem Projekt gearbeitet haben. Aus dem Wunsch, nur ein paar Skulpturen und Videoarbeiten zu machen, wurde schließlich ein größeres Projekt, sodass wir gar nicht mehr aufhören konnten, weil jede Blüte eine andere Blüte brauchte und das Scheitern in der Produktion so unwiderstehlich und zugleich erlaubt war. Unsere 70-Quadratmeter-Wohnung mit kleiner Küche, Schlaf- und Wohnzimmer, Musikstudio und Atelier füllte sich mit den Skulpturen. Es war ein Experiment in Form eines rasenden Wahnsinns; die Freuden und Frustrationen des Entstehungsprozesses nahmen jeden physischen, emotionalen und psychologischen Raum in unserem Leben ein. Meine Mutter blieb beispielsweise eine Zeit lang bei uns und schlief in der Küche, wo sie auch für uns kochte; und auch meine Brüder kamen hin und wieder vorbei, um bei der Produktion zu helfen. Sie schliefen auf dem Boden. Es war das erste Projekt, an dem wir so intensiv arbeiteten und bei dem der Entstehungsprozess selbst ein Experiment war.

Wie habt Ihr Eure spezielle Technik entwickelt und wie sieht Eure Arbeitsteilung aus? Bekanntermaßen entwickelt Ihr alles selbst und verkörpert damit mehrere Rollen (sprich, Du, Nathalie, bist zugleich Regisseurin, Drehbuchautorin und Ausstatterin der Filme und Du, Hans, komponierst den Soundtrack dazu).

Nathalie: Wir arbeiten beide auf die gleiche Art und Weise und haben den gleichen Hintergrund. Wir sind beide Autodidakten in unserem Medium und lernen neue Techniken erst dann, wenn die Ideen uns dazu drängen. Die Ideen stehen sozusagen immer im Vordergrund und die Technik hinkt hinterher.

Ich habe angefangen Stop-Motion-Filme zu machen und dabei die Freude und Möglichkeit entdeckt, nicht nur ein Bild schaffen zu können, das die Geschichte erzählt, sondern unendlich viele Bilder, die die Geschichte erzählen. Das war für mich revolutionär – etwa wie eine Situation oder eine Geschichte durch eine Geste oder eine Interaktion erzählt oder erforscht werden kann, wie die Rolle einer Figur nie festgelegt ist und die Rolle des Opfers oder des Täters in einer Sekunde verändert werden kann.

Hans animiert nie etwas in den Filmen und ich mache nie die Musik, aber wir arbeiten seit über 18 Jahren so eng zusammen, dass unsere mentalen und emotionalen Prozesse miteinander verwoben sind. Er versteht, was ich tue, auch wenn ich mich manchmal selbst nicht verstehe; und die Sprache, die wir in unserer Arbeit teilen, ist eine Sprache der wenigen Worte und der Rätsel.

Hans: Genau, auch wenn wir immer noch getrennte Rollen haben, wenn es um die praktische Arbeit geht, ist alles sehr eng miteinander verwoben und die Ideen entstehen oft in diesem gemeinsamen Raum zwischen uns.

Was für Vorteile hat es bei Eurer Technik mit Knetfiguren oder Puppen zu arbeiten und welche Rolle spielt die Musik dabei?

Hans: Die Musik spielt eine sehr wichtige Rolle, denn sie ist die einzige auditive Information im Film. Es gibt keine Dialoge, keine Soundeffekte oder Umgebungsgeräusche. Die Musik füllt den gesamten Raum aus und treibt die Erzählung des Films voran. Sie beeinflusst auf emotionaler Ebene die Zuschauer*innen, noch bevor das Gehirn das Gesehene registrieren kann und führt sie so durch das Werk. Manchmal führt sie einen auch völlig in die Irre und man fühlt sich fröhlich oder ist aufgeregt, obwohl die Bilder grausam sind – mich reizt diese kognitive Dissonanz.

Nathalie: Ich kann jede Rolle spielen: Ich muss mich keinem Schauspieler erklären und muss nicht auf die Möglichkeit verzichten, die Emotionen und Wendungen der Figuren zu fühlen.

Ich kann jeder in der Animation sein: die Beobachterin, die das Geschehen beobachtet, oder diejenige, die die Ereignisse und Handlungen bestimmt. Ich kann unterschiedliche Rollen einnehmen, von der Täterin, dem Opfer oder der Liebhaberin, bis hin zur Jägerin oder der Getöteten.

Die Arbeit „The Experiment“ wurde schon an vielen spannenden Orten ausgestellt:2009 auf der Biennale in Venedig, 2013 im Museum der Moderne in Salzburg, 2015 im Base 103 der Sammlung Goetz in München, 2018 im Moderna Museet in Stockholm und 2019 in der Schirn Kunsthalle in Frankfurt – alles Ausstellungsorte mit anderen räumlichen Gegebenheiten. Welchen Herausforderungen seht Ihr Euch nun beim aktuellen LOVECRAFT-Projekt, in einem ehemaligen Münchner Kaufhaus, gegenüber?

Hans: Die Architektur und das Design des Kaufhauses sind weit vom klassischen Galerie- oder Kunstraum entfernt. Das finden wir sehr spannend, weil es die Arbeiten in einen ganz anderen Kontext stellt – einen unwirtlichen, heruntergekommenen und verlassenen Ort, der meiner Meinung nach das Gefühl des Verfalls und der Vergänglichkeit der Skulpturen noch verstärkt. Sie scheinen an diesem vergessenen Ort gewachsen zu sein, an dem sich schon lange niemand mehr aufgehalten hat; wenn wir nicht hinsehen, geschehen seltsame Dinge, die wir nicht kontrollieren können. Das könnte zumindest unsere Angst oder unsere Hoffnung sein - je nachdem, wie man den Ort empfindet.

„The Experiment“ wirkt wie ein märchenhafter Wald aus wilden Pflanzen und Blumen. In einem der dort zu entdeckenden Filme spielt der Wald auch eine zentrale Rolle. Was verbindet Ihr mit diesem Ort – denn der Wald taucht auch in einigen anderen Arbeiten von Euch auf? Habt Ihr bildliche oder literarische Referenzen dazu?

Nathalie: Der Wald ist sehr wichtig. Er ist das geheime Land unseres Körpers, unseres sich windenden Verstandes, unserer Gefühle. Er ist tief, dunkel, eindringlich, geheimnisvoll und verlockend. Er birgt Schätze und Gefahren, ist voller Geheimnisse und Verheißungen; wenn ich nur ein wenig weiter in die Dunkelheit gehe, nur ein wenig weiter hinein.